Liebe Michelle
- Vera Rieger
- 5. März
- 4 Min. Lesezeit
Du sitzt mir gerade gegenüber und tippst so schnell. Wirklich so schnell, ich bin absolut beeindruckt, nicht nur, dass du so schnell tippen, auch, dass du so schnell denken kannst. Ich bin da etwas gemächlicher unterwegs. Heute fange ich den Brief also tatsächlich schon am Sonntag an, um mich nicht immer so blöd zu verspäten. Es ist der erste Sonntag im März, nach einem der Kalender, weiss nicht welcher, also schon der erste Sonntag im Frühling! Wow. Es fühlt sich halt auch wirklich so an. Draussen scheint die Sonne, die Krokusse und die Maienglöckchen blühen, sogar schon ein paar Primeln. Ist das das richtige hochdeutsche Wort? Ich weiss es nicht, Brimeli halt, meine Lieblingsfrühlingsblumen.
Jetzt ist nicht mehr Sonntag, sondern Dienstag, und schon wieder hat es nicht geklappt. Aber tatsächlich hatte ich die letzten zwei Tage mein erstes Frühlingshoch und weiss nicht, worüber ich sonst schreiben soll, also schreib ich darüber. Montagmorgen schien die Sonne so in unser Zimmer, dass die Bettdecke rosa schimmernd leuchtete und sich an der Wand wegen den geschlossenen Storen gleichfarbige Lichtpunkte bildeten. Was ein schönes Lichtspektakel. Wir haben das Glück, morgens in den Schlafzimmern und nachmittags und abends im Wohnzimmer und in der Küche Sonne zu haben. Und ich liebe Sonne. Da ich jetzt halb-Ferien habe, verbrachte ich fast den ganzen Tag auf dem Balkon; ich habe geputzt und Wäsche gemacht, malte einen alten Mini-Ping-Pong-Tisch während einem Zoomseminar mit Akrylfarben an, um darauf meine Töpfe zu stellen, ging Blumen kaufen, etc. Es fühlte sich an wie Frühlingsputz. Dazu eine kleine Kindheitserinnerung:
In der Siedlung in Riehen, in der ich bis sechs gewohnt hatte, gab es jeweils einmal im Frühling einen gemeinsamen Frühlingsputztag. Das war mein absoluter Lieblingstag. Alle nahmen ihre Kärcher hervor, spritzen damit herum, einmal Tiefenreinigung, und abends sassen wir zusammen und assen Kartoffelsalat mit Wienerli. Vielleicht vermische ich dieses Event auch mit dem Santiklaus, der im Porsche kam und wo es auch Kartoffelsalat und Wienerli gab, aber dieser Frühlingsputz hatte so einen sehr coolen vibe, den ich nie vergessen werde. Ich habe einige sehr spezifische Erinnerungen aus dieser Zeit, auch wenn ich noch relativ klein war. Sie erklären einiges, zum Beispiel meinen Fasnachtshype und mein Wunsch, auch mal Fasnacht zu machen und vielleicht auch, warum ich Französisch mag. Jetzt bin ich im Flow, also erzähle ich sie dir. Einmal im Herbst waren wir Kinder super motiviert und stellten zusammen Sirup aus Holunderbeeren her. Dafür sammelten wir (in meiner Wahrnehmung) über Wochen hinweg die Beeren, es war voll das grosse Projekt. Als wir den Sirup endlich hatten, machten die anderen Kinder aus, dass sie ihn am Donnerstagmorgen nach der Fasnacht gemeinsam trinken würden, um zu feiern. Keine Ahnung, warum. Sie hatten dann traditionsgemäss ein grosses Frühstück. Aber ich war voll mad, weil die anderen Kinder alle wegen ihren Basler Familien in Cliquen waren und ich nicht und darum nicht an diesem Frühstück teilnehmen durfte, ich war schliesslich keine aktive Fasnächstlerin, sie schon. Das hat mich echt voll sauer gemacht. Mein Fasnachtshype ist also vielleicht auch nur eine tiefsitzende FOMO. Ich weiss nicht mehr, wie die Geschichte ausging. Es könnte auch sein, dass ich den Sirup nicht mit ihnen trank, da ich wegzog.
Die zweite Geschichte ist etwas positiver. Als ich in die erste Klasse kam, kamen zwei andere Mädchen aus der Siedlung in die 4. In der 4. hatte man Französisch. Deswegen spielten wir (in unserer Freizeit!) um den Brunnen herum Schule, sie zwei waren die Lehrerinnen und brachten uns Französisch bei. Wir waren echt voll die Streberkinder. Aber aus meiner jetzigen Pädagoginnensicht muss ich zugestehen, dass es keine bessere Art der Erstkonfrontation mit einer Zweitsprache gibt als die spielerische. Hier mach ich den Bogen und komme wieder zurück zu meinem gestrigen Tag. Die Kinder in unserem Block waren nämlich auch on fire. Die haben jetzt Ferien und weil sie nicht aus überprivilegierten Familien kommen, fahren sie nicht in die Skiferien. Sie waren schon draussen am Spielen, als ich um halb 6 das Haus verliess. Als ich um 8 wieder nach Hause kam, sassen sie im Eingangsbereich unten und spielten an der gemeinsamen Haus-Wandtafel Hangman. Das gewählte Wort war voll lange, irgendwie Gartenarbeit oder so. Da ist mein Pädagoginnenherz natürlich auch explodiert. Davor hatten sie F. verschreckt, als er aus dem Lift kam, da sie Schauen-ob-jemand-im-Lift-ist spielten. Den Block unsicher machen safe cooler als Skifahren.
So, ich yappe hier ein wenig. Jetzt muss ich ins Training und gib dir nachher noch die Kategorien!
Okay, wieder da, vor den Kategorien noch ein paar Dinge, die ich sonst noch die letzten zwei Wochen gemacht habe. Ich war mit I. und S. im Goms Langlaufen, hab eine Langlaufkontrolleurin angelogen, da wir kein Loipenpass hatten, habe mir zum ersten Mal eine Vape gekauft, habe zum ersten Mal in meinem Leben eine Prüfung geschrieben und auch korrigiert, versucht meinen Schülern zu erklären, warum AFD nicht so cool ist (funktioniert nicht so gut), wir haben L. verabschiedet, die nun in Palermo ist, Spaziergänge mit dir und ein Schreibwochenende, indem wir insgesamt zwei Stunden schrieben, habe einem Mathelehrer erklärt, warum seine Bewertungsmethode von einem multiple choice Test nicht logisch ist (big dick energy), Speed date mit F. im Bohemia während einer Pause in seiner Aufführung, bin offiziell in meine bar era eingetreten!
Etwas zum Spielen: Ich habe nichts Neues begonnen zu lesen, deswegen möchte ich dir heute ein Spiel vorschlagen, und zwar Code Names. Es geht darum, aufgrund von einem genannten Wort andere Wörter, die auf dem Tisch liegen, zu erraten und zu verbinden. Wir sind im Goms in eine Code Names-Sucht verfallen. Gutes Spiel.
Etwas zum Hören: Billy Joel, She’s always a woman wurde mir diese Woche mehrmals in meinen Spotify Algorithmus gespült. Nicht so 2025, aber Spotify kennt mich, es gefällt mir.
Etwas zum Glotzen: F. und ich haben endlich eine neue gemeinsame Serie, nachdem wir mit One Tree Hill fertig wurden. New Girl. Ich weiss, du kennst es, aber ich liebe es jetzt schon so sehr. Ich habe selten bei einer Serie so laut herausgelacht. Gleichzeitig geht es von der Beziehungsebene in die Tiefe finde ich, trotz des albernen Charakter.
Etwas zum Essen: Spaghetti Carbonara, echte, nicht die Betty Bossi-Version mit Rahm.
Wort der Woche: Breiti isch Szene. (Kannst du nächste Woche ausführen)
Alles Liebe
Vera
PS: Ich mache selten Werbung hier, aber am 16.3 moderiere ich ein Matinée Konzert in der Skulpturenhalle in Basel im Rahmen von female classic, einem Festival für klassische Musik von Komponistinnen, es spielt ein krass gutes Streichquartett und alle sollten kommen!!




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