top of page

Extrapost aus dem Surfcamp

  • Vera Rieger
  • 26. Feb. 2024
  • 6 Min. Lesezeit

Liebe Michelle


Danke für deinen schönen Brief, ich fand ihn überhaupt nicht inhaltslos. Heute nehme ich mir endlich mal wieder Zeit, dir anständig zu antworten, bevor ich mit dem Reise- und Surfspam beginne (Den du dir ja explizit gewünscht hast).


Du hast schön beschrieben, wie sich Schreiben und Veröffentlichen anfühlt - auch für drei Nasen - und hast mich gefragt, ob ich auch Angst habe, dass Leute meine Worte falsch verstehen könnten. Oder anders als von mir beabsichtigt. Sehr spannend fand ich, dass du meintest, deine Taten sagen mehr über dich aus als deine Gedanken. Das stimmt wohl, habe ich aber noch nie so betrachtet. Ich teile das Gefühl, dass Lesende meinen, mich zu gut zu kennen. Viele sind Freunde oder zumindest Bekannte und deswegen stresst es mich manchmal etwas, dass dadurch ein Ungleichgewicht zwischen mir und ihnen entsteht. Sie freuen sich über meine life updates, ich bekomme aber ihre nicht in diesem Ausmass. Aber das ist ja genau, was wir beabsichtigen, sonst würden wir das hier nicht tun. Es ist jedoch auch ein Grund, warum ich mich in den Reisebriefen mehr auf Dinge, die ich erfahren oder gesehen habe, fokussiert habe und weniger davon schrieb, wie es mir geht. Ausserdem denke ich mir oft; egal, wie viel man von sich preisgibt, der Teil, den man nicht preisgibt, bleibt unglaublich viel grösser. Das Texten fungiert als Gedankensieb und nur die feinsten Körnchen kommen durch - wenn auch nicht immer die beste Qualität Sand.

Angst, falsch verstanden zu werden, habe ich eigentlich nicht. Es ist in Ordnung, dass meine Gedanken interpretiert werden, und es ist mir nicht so wichtig, dass mich alle genau verstehen. Ich polarisiere auch gerne. Meine Top-Prio ist es immer zu unterhalten. Die Angst, langweilig zu schreiben, habe ich dafür stark.


Das mit deinem Laptop tut mir sehr leid. Ich kann dieses Nostalgie-Gefühl einem wichtigen Gegenstand gegenüber gut verstehen, auch wenn ich es nicht so oft empfinde. Da ich wirklich viel verliere, kann ich es mir schlicht nicht leisten, dass mir Material viel bedeutet. Es ist etwas traurig, aber wahr. Zurzeit reise ich aber mit meinem hellblauen Rucksack, den ich schon mehr als 10 Jahre habe. Ich bekam ihn geschenkt für mein erstes Sommerlager mit elf, und er diente mir als SoLa-Rucksack ein paar Jahre (bevor ich einen grösseren brauchte), kam mit mir in unzählige andere Lager, Ferien, in die Bretagne, Toskana, Korsika und vor allem mit auf Interrail mit 18. Nun gibt es eine Stelle, wo er beginnt zu reissen, da ich zu fest gestopft habe. Das zerreisst auch mein Herz. Denn obwohl er überhaupt nicht schön, geschweige denn noch zeitgemäss ist, hängen daran viele schöne Erinnerungen.


Es hat mich unglaublich gefreut, dass dir der Morgestraich so gut gefallen hat. Es ist eben schon sehr anders als das Saufgelage auf dem Land. Und ja, müssen unbedingt nächstes Jahr gemeinsam gehen. Ich habe die Fasnacht ein bisschen vermisst und tatsächlich für den Morgestraich F. per whats app video call kontaktiert und den Anfang der Basler Fasnacht so live mit Zaira zusammen geschaut. Bei uns war 8:30 am Morgen, wir mussten also nicht mitten in der Nacht aufstehen, ganz praktisch eigentlich. Es war schön, ihr etwas von mir zu Hause zu zeigen, weil sie mir ihr Land zeigte. Sie lernt Deutsch und hat ein unglaublich grosses Interesse an deutschen (und auch schweizer) Brauchtümern. Sie weiss mehr über Deutschland als ich, lol. Leider hat man nicht viel gehört, da whats app den Marsch kaum als Musik und eher als noise wahrgenommen und somit herausgefiltert hat.


Du hast beschrieben, dass es dich anscheisst, einen sidehustle zu finden, und ich kann mich nur anschliessen, dass ich am genau gleichen Punkt bin. Wenn ich schon nicht genau weiss, was ich genau will, möchte ich wenigstens finanziell unabhängig sein. In Trivandrum habe ich einen ganzen Tag nur damit verbracht Bewerbungen zu schreiben und frustriert zu sein, dass ich mich auf dieselben Stellen bewerbe wie vor 4 Jahren.


Nun also noch ein bisschen was zu hier. Jetzt bin ich gerade in Sri Lanka, genauer gesagt in Welligama. Zwei Tage war ich eher unfreiwillig in der Haupstadt Colombo, und die ist (sorry für die harten Worte) richtig scheisse. Es ist eine sehr junge Stadt mit vielen hohen Business-Gebäuden. Da es aber trotzdem touristisch ist, kann man keine zwei Minuten auf der Strasse herumlaufen, ohne von einem TukTuk-Fahrer genervt zu werden. Ich verstehe, dass das ihr Business ist, aber sie sind echt extrem aufdringlich und akzeptieren ein Nein nur schlecht. Irgendwann war ich nur noch genervt. Der eine hat mich zu der einen Sehenswürdigkeit gebracht und dort einfach gewartet in der Hoffnung, ich würde nochmals mit ihm fahren, obwohl ich fünf Mal gesagt habe, dass ich nur einen drop brauche. Sie wollen einem auch die ganze Zeit Sightseeintouren andrehen. Etwas Spannendes entdeckte ich aber doch noch. In einem Park durfte ich beobachten, wie zwei Elefanten beim Abtransport von Holzstämmen helfen mussten. Sie stellen die Stücke mit ihrem Rüssel auf, packten sie mit dem Mund und brachten sie so zum Lastwagen. Ich lag leicht dösend auf der Bank und dachte daran, wie absurd diese Welt ist. Dass hier sogar dieser Elefant arbeiten muss, während ich dabei zuschaue und chille. Ansonsten habe ich mich einfach im Hostel vor TukTuk-Fahrern versteckt.


Nach 4 Stunden Zugfahrt im vollgestopften Zug ohne Sitzplatz  - dafür mit offenen Türen und Fenstern - der Südküste entlang folgte dann der zweite Kulturschock: Das Surfcamp. Im ersten Moment fühlte ich mich wie beim holländischen Bachelor. Alles so weisse braungebrannte, durchtrainierte Männer und Frauen chillten am Pool. Es stellte sich aber heraus, dass dieser Eindruck täuschte, und eigentlich alle voll nett sind. Es hat sehr viele Deutsche, und ich konnte sogar meine Holländer-Phobie, die ich seit meiner Jugend aufgrund von Familienferien auf Campingplätzen habe, etwas ablegen. Es gibt tatsächlich nette Holländerinnen. Von allem, was ich auf dieser Reise gelernt habe, ist das wohl das  Erstaunlichste.


Das Surfen macht mega Spass, ich kann noch nicht viel, aber mich packt der Ehrgeiz, besser zu werden. Es treibt mich an, immer nochmals und nochmals eine Welle zu versuchen. Wenn’s dann mal halbwegs klappt, ist das ein sehr berauschendes Gefühl! Sehr mühsam hingegen ist es, gegen die brechenden Wellen wieder herauszukommen. Ich befinde mich zeitlich noch viel mehr unter dem Wasser als auf dem Brett, aber das ist wohl normal. Während mich hier sonst oft wieder alte Sorgen umtreiben und ablenken, sodass ich zum Beispiel nicht lesen kann und schlecht schlafe, bin ich beim Surfen immer 100% bei der Sache. Das ist richtig schön. Ich merke aber auch, wie kompetitiv ich bin und zum Beispiel neidisch wurde, als eine andere Anfängerin in die fortgeschrittenere Gruppe wechseln durfte. Der persönliche Ehrgeiz pusht mich, aber das Vergleichen ist unnötig. Solche Charaktereigenschaften werde ich aber nicht los. Kannst du das nachvollziehen? Das ist auch ein Grund, warum ich immer dachte, dass ich niemals Teamsport betreiben könnte, ich würde meine Mitspielerinnen ausschlagen wollen. Wie ist das bei dir im Handball? Das interessiert mich sehr.


Abschliessend muss ich noch anmerken, dass ich über die Touris im Surfcamp einiges über Sri Lanka erfahren habe, sonst aber keine Ahnung habe. Und dass hier die UV-Strahlung 100‘000 ist. Du weisst, dass ich niemals ohne Sonnencreme in die Sonne gehen würde. Aber hier werde ich mit Lichtschutzfaktor 50 und zusätzlichem Zink im Gesicht trotzdem immer wie röter. Vor allem am Arsch, den dieser ist beim surfen sehr exponiert. Es ist krass, wie schnell es dann aber um 4 Uhr nachmittags schon wieder geht. Die Nähe zum Äquator spürt man sehr stark, um 12 Uhr mittags scheint die Todessonne.


So, jetzt noch zu den versprochenen Kategorien zum Schluss. (Alter ich hatte es schon einmal geschrieben und jetzt finde ich es nicht mehr - mega Anschiss)


Etwas zum Lesen: the white tiger - Aravind Adiga, das wohl bekannteste indische Buch im Westen, aus der Sicht eines Fahrers in Delhi geschrieben, sehr witzig, spöttisch und schonungslos. Ich las es, während ich selbst mit einem Fahrer unterwegs war, vieles konnte ich mir sehr genau vorstellen. Das war teils unangenehm, spricht aber auf jeden Fall für das Buch.


Etwas zum Glotzen: Die Reels von meinem Lieblingsinfluenzer Tahsim @tahdurr. Er ist der Grund, weshalb ich Insta nicht löschen kann. Ich folge ihm schon eine Weile, aber wie er es momentan schafft, die AFD-Misere in Deutschland humoristisch zu verarbeiten, ist einfach pures Genie.


Etwas zum Hören: Okay, hier habe ich ganz viel, ich hole für die verpassten Male auf. Zwei Podcasts:

1. Maed in India über indische Indie-Musik (höhö). Meistens springe ich den gesprochenen Teil, manchmal ist es aber auch spannend. Die Musik klingt sehr westlich, aber mit indischen Einflüssen, z.B. Sprachen.

2. Den Podcast von Hazel Brugger und ihrem Mann. Ich höre längst nicht mehr alle Folgen, aber ich weiss noch, wie ich die Folge über ihre erste Geburt auf dem Dach der ZHdK gehört habe. Die der zweiten Geburt hörte ich abends in Colombo am Strand. Diese Begleitung berührt mich und ich finde den Podcast schon sehr unterhaltsam.


Zwei offensichtliche Lieder: the coconut song, weil es hier viele Kokosnüsse gibt und natürlich Die Perfekte Welle von Juli.


Etwas zum Essen: Frische Kokosnuss mit Strohalm austrinken und dann mit einem abgeschnittenen Stück auskratzen.


Mit diesem Kokosnuss-Überschuss überlasse ich die in die gedankliche Freiheit. Ich werde wahrscheinlich Ende der Reise noch einen Kurzen Extra-Fazit-Brief verfassen, bevor dann endlich der Ernst des Lebens wieder beginnen muss. So, ich bin auch müde, morgen gibt es um 7 Uhr Pilates. Das ist in 8 Stunden. Mal schauen, ob ich das schaffe.


Sei Gegrüsst und bis bald!


Vera


PS: Ich bin zum Pilates gegangen. Krass oder, langsam werde ich zum that girl.




ree

TukTuk rollte ins Camp ein.



ree

The beach :) gibt auch schöne Sonnenuntergänge da, die werde ich vermissen.


 
 
 

Kommentare


bottom of page