Liebe Michelle
- Vera Rieger
- 30. Sept.
- 4 Min. Lesezeit
Omg dein letzter Brief war so voller Leben, das fand ich echt mega schön!
Montag 29. September
Wieder einmal schreibe ich dir von den Vitra-Sesseln im 12. Stock am Cubus in Muttenz. Ich erinnere mich, vor einem Jahr einige Briefe so begonnen zu haben. Damals habe ich diese Sessel geliebt, da ich alles liebte, jetzt sind sie ganz in Ordnung.
Wir sind schon 2 Wochen im Semester und die Zeit fliegt an mir vorbei, ohne dass ich es richtig mitbekomme. Ich war viel am Unterrichten oder Unterricht vorbereiten oder am Versuchen von Beidem. Zum Teil war es mehr ein Aushalten, da ich einfach so unglaublich chaotisch bin innerlich und es nicht schaffe, für die Kiddies und mich eine geeignete Struktur aufrechtzuerhalten. Ich denke viel über Rituale nach gerade und wie ich es mir schwer fällt, auch nur die kleinsten einzuhalten (so z.B. Kopfhörer in die Ohren, wenn man aus dem Haus geht oder Kaffee jeden Morgen, Essen kochen täglich oder so) und dies widerspiegelt sich leider auch in meinem Unterricht. But I keep going. Und wenn ich etwas kann, ist es SABTA – Sicheres Auftreten bei totaler Ahnungslosigkeit. Besonders den anderen Lehrpersonen gegenüber. Apropos. Wir hatten letzte Woche eine Sitzung im ganzen Kollegium zum Thema Präsenz in den Sozialen Medien als Lehrperson. In meiner Gruppe waren alle der Meinung, dass wir tun und lassen können sollten, was wir wollen, solange es im rechtlichen Rahmen ist. Eine Woche später hat mir die eine Schülerin gesagt, dass sie mir auf Instagram folgt und alle meine Stories schaut (ich habe das nicht bemerkt). Wahrscheinlich sollte ich sie blockieren. Manchmal frage ich mich schon, wer das hier alles lesen könnte. Rein theoretisch. Aber dann würde sie immerhin etwas lesen. Falls schon: hallo!
Apropos Rituale, eine freudige Botschaft: Ich habe gerade ein Gym-Abo gelöst. Jetzt muss ich gehen. Ich hatte gemerkt, dass ich schon fast ein Monat nicht mehr in der Physio war, weil ich nicht angerufen hatte und dann dachte ich, dass ich jetzt unbedingt dieses Abo lösen muss. Ich hatte mir vorgenommen, jeden Tag 15 Minuten joggen zu gehen, musste mir aber eingestehen, dass mein Knie dafür einfach noch nicht ready ist. Deswegen werden jetzt ordentlich legs gepresst. Mein Ziel ist es, mindestens 2-mal die Woche zu gehen und ich halte das nun hier fest, dass ich mich rechtfertigen muss, falls ich es nicht schaffe. Ausserdem habe ich ja geblufft, dass ich das Gefühl habe, schnell breit zu werden, wenn ich wirklich regelmässig ins Gym gehe, und das muss ich nun beweisen. Zweiter abrupter Themawechsel:
Dinge, die mich glücklich gestimmt haben in letzter Zeit: Der Herbst und das Wetter allgemein. Ich liebe es, durch Gerüche mit meinen Erinnerungen verbunden zu sein. Beim Jahreszeitenumschwung riecht es immer besonders intensiv. Dann gehe ich nach draussen, atme ein und verspüre erst einmal eine schwer verortbare Nostalgie, die mir Sicherheit gibt. Ich bin schon ein Weilchen hier. Dies gibt mir auch an schweren Morgen Kraft. Lustigerweise sind es immer positive Assoziationen, als wäre alles immer schön gewesen, aber vielleicht trickst mich mein Gehirn da sehr schlau aus. Ich freue mich auch sehr auf die Herbstdinge wie Pumpkin Spice Latte oder Kürbissuppe, Pilzschnitten und besonders aktuell gerade: Feigen. Ich liebe es, Feigen zu snacken. Und Quitten.
Dienstag, 30. September
Ich habe es leider nicht geschafft, den Brief gestern noch fertig zu schreiben, dafür war ich, seit ich den Text oben geschrieben habe, schon 2x im Gym und einmal davon mit dir. Und ich habe Quittenkonfitüre eingekocht gestern Abend. Quitten sind einfach der real shit. Mein heutiger Tag hingegen ist etwas durchzogen, da ich viel zu lange gebraucht habe, um Tests zu korrigieren und ich nicht so viel geschlafen hatte letzte Nacht. Aber, heute ist der letzte Tag des Septembers, das bedeutet, dass du einen coolen dump auf Insta hochladen wirst, darauf freue ich mich: Gutes Ritual.
Ich sitze nun schon eine Weile an diesem Brief (super lange, dazwischen bin ich 5 Mal in die Küche gelaufen, habe Insta geschaut, habe Bilder heruntergeladen, habe ein Butterbrot gegessen, habe gedacht, dass ich schon lange an dem Brief sitze, habe eigene Tomaten auf dem Balkon gesnackt, habe deinen dump angeschaut) und kriege nicht viel mehr aus mir heraus. Doch, eine Sache will ich noch erzählen.
Vorgestern hat zum ersten Mal F.’s Nichte bei uns übernachtet. Das war sehr, sehr süss. Wir haben zusammen gemalt, gegessen und ihr dann Magalis Franovs Bilderbuch vorgelesen (es war noch etwas zu brutal, wir mussten die Seiten mit dem Sturm überspringen, sie hatte Angst). Als wir sie endlich in den Schlaf singen wollten, verlangte sie, dass wir «d Schissi isch verstopft» von Sir Francis singen würden und das war der absolut legendärste Moment des Abends. F. musste das Zimmer verlassen, da er so einen Lachflash hatte. Sie wollte dann natürlich nicht schlafen und wir machten 5 Runden um den Block, wo sie immer noch nicht schlafen wollte und sich ständig beklagte, dass ich mit dem Wagen auf der Strasse lief. Sie ist jetzt zweieinhalb und kann schon echt gut reden. Es macht immer wie mehr Spass mit ihr. Beim zweiten Versuch ist sie dann auch tatsächlich eingeschlafen, wir haben alles gegeben. Es ist so unglaublich krass, wie schnell Kinder lernen.
Mit dieser kitschigen Anekdote schliesse ich hier ab.
Noch zu den Kategorien:
Etwas zum Lesen: Yellowface, über eine weisse Autorin, die ein Manuskript ihrer erfolgreicheren asiatisch-amerikanischen Kollegin stiehlt und damit erfolgreich wird. Ich bin noch nicht durch, werde nächstes Mal eine dezidiertere Meinung dazu geben, aber ich finde es gerade auch sehr spannend im Anbetracht des «Skandals» um Caroline Wahl, ob sie über Armut schreiben darf. Natürlich ist es eine sehr andere Diskussion, in Yellowface geht es um Rassismus (und Wahl hat keine Manuskripte geklaut, so viel ich weiss.) Aber es ist krass, wieviel man einfach wiedererkennt von den satirischen Beschreibungen von Onlinedynamiken in «literarischen» Kreisen.
Etwas zum Glotzen : Seth Meyers über den Vorfall mit der Rolltreppe von Trump:
Etwas zum Hören: In 2 Tagen kommt Symphonie des éclaires von Zaho de Sagazan als Orchesterversion heraus und ich empfehle es einfach jetzt schon.
Etwas zum Essen: Chèvre-Quitten-Thymian-Canapé oder Chèvre-Feigen-Thymian-Canapé.
Wort der Woche: Lebensüberforderung.
Alles Liebe und bis bald beim Spazieren oder jetzt im Gym.
Vera
PS: Wichtigstes Update vergessen: Ich wurde in Montpellier fürs Austauschsemester angenommen.
Als Bild heute folgendes: Auch wenn ich momentan nicht trainieren kann, durfte ich an unserem Clubshooting teilnehmen. Dieses Bild hier soll mich daran erinnern, dass ich brav Physio mache, um bald wieder ready zu sein. (Ich habe wirklich keine Bilder in meiner Gallerie)

Bildcredtis folgen.
Ums in de Wort vom Andi zsäge: "Wichtigi Mitteilig vom Bundesrot: Basel mues glii e neui Türnorm ifüere, damit d Vera mit ihrne Schultere no durekunnt."