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Liebe Vera

  • Michelle Harnisch
  • 17. März 2024
  • 6 Min. Lesezeit

Diese Woche war nicht gut, und ich weiss noch nicht ganz, wie darüber schreiben. Ganz viele Dinge waren diese Woche schlimm. Dinge, die ich nicht beeinflussen kann, die mich nicht direkt betreffen, die mich zum Teil gar nichts angehen, die ich aber trotzdem in Relation zu mir zu setzen versuche, wie man das halt so tut, wenn solche Dinge geschehen.  

 

Einer der Stammkunden im Café, in dem ich arbeite, in dem ich schon einmal ein Jahr lang gearbeitet habe, ist letztes Wochenende gestorben. Einer, den ich kannte, der fast jeden Tag vorbeikam, gefragt hat, wie es einem geht, die Stunden hinter der Bar schneller vorbeigehen liess. Er war unglaublich lieb, lustig und hat sich für uns, die dort arbeiten oder gearbeitet haben, interessiert. Er war noch nicht so alt. Am Freitag dann habe ich ausserdem erfahren, dass ein junger Mensch, den ich zwar nur flüchtig gekannt habe, den ich aber doch einige Male gesehen habe, mit dem ich auch schon gesprochen habe, gestorben ist. Und als ich es erfahren habe, musste ich weinen, und fühlte mich schlecht, dass ich weine, wo ich ihn doch gar nicht richtig gekannt habe. Als ob man nicht traurig sein darf, wenn ein junger Mensch stirbt, unabhängig von der eigenen Beziehung zu ihm.

 

Anteilnahme für Leute, die man nicht richtig kennt, ist etwas ganz Komisches, das mich sehr überfordert, mit dem ich nicht gut umgehen kann. Das Gefühl, nicht traurig sein zu dürfen, obwohl man ja gleichzeitig weiss, dass es eigentlich in Ordnung ist, sich so zu fühlen. Vor einigen Jahren ist einer der besten Freunde meiner Stiefbrüder gestorben. Er war so alt wie wir jetzt, vielleicht jünger. Ein Arbeitsunfall bei einem Job, der eigentlich nicht gefährlich hätte sein sollen. Damals ging es mir ähnlich. Traurig wegen dem Tod einer Person, die ich nur flüchtig kannte. Traurig, weil ich wusste, wie nah er meinen Stiefbrüdern gewesen war. Ich will das nicht weiter ausführen, weil ich auch nicht weiss, wie angebracht es ist, überhaupt darüber zu schreiben. Darum lasse ich das so stehen. Vielleicht kannst du das ja verstehen.


Dann ist diese Woche aber noch mehr passiert. Meine beste Freundin, die, glaube ich, auch deine beste Freundin ist, hat sich verletzt. Beste Freundin. Dieser Begriff, der immer ein wenig nach Teenager klingt, der sich je nach Jahreszeit, nach Laune, nach Frequenz der Treffen miteinander verändert. Den ich aber doch in all diesen Jahren immer denselben drei, vier, fünf Personen zugeschrieben habe. Der sich so oft verschoben hat. Sie jedoch hat dieses Adjektiv seit unserer gemeinsamen Pio-Zeit nicht mehr verloren. Jedenfalls hat die Woche damit begonnen, dass ich am Montag mit meiner besten Freundin auf dem Notfall war. Dieses Handball ist eben manchmal doch gefährlich. Auch wenn die Verletzung eigentlich unabhängig davon geschah, aber halt im Training stattfand. Ein Ausfallschritt, den man bei vielen anderen Sportarten auch gemacht hätte. Den man vielleicht sogar im Alltag mal gemacht hätte. Aber geschehen ist es eben in der Turnhalle und mit einem Ball in der Hand. Jedenfalls ist es schlimmer als gedacht oder gehofft. Kreuzbandriss. Meniskusriss. Irgendetwas am Knorpel. Operation nächste Woche. Kein Handball mehr für den Moment. Vielleich auch gar nicht mehr.

 

Es war also eine Woche, in der mir die Ungerechtigkeiten in dieser Welt bewusster waren, als sie es in anderen Wochen sind. Vielleicht ist es ja auch gut, das alles nicht immer vergessen zu können, denn wo bliebe sonst die Menschlichkeit? Naja, aber ich muss jetzt keinen Sinn darin suchen. Gewisse Sachen sind einfach schlimm. Und traurig. Und scheisse.

 

Ich finde keinen guten Übergang in Belangloseres. Aber vielleicht braucht es das auch nicht. Das kann dann eben nebeneinanderstehen, wie es das halt manchmal tut. Ich war in der Uni. Ich habe gearbeitet. Ich hatte am Mittwoch eine kurze Krise, weil ich gemerkt habe, dass ich falsche Module belegt habe. Ich habe in gewissen Bereichen zu viele Credits berechnet, in anderen zu wenig. Ich habe mich verrechnet, nicht gecheckt, wie wenig Punkte man im Master machen muss. Ich habe dann also einen Abend damit verbracht, zusammenzurechnen, was ich wann belegen muss. Wo ich wann eine Arbeit schreiben muss, um die nötigen Credits zu bekommen. Ich habe eine Excel-Tabelle gebastelt, die mir das ausrechnet, und ich bin sehr stolz darauf. Auch wenn es peinlich wäre, zuzugeben, wie lange ich dafür gebraucht habe. Kleine Siege muss man aber auch feiern. Weniger siegreich ist dafür die Tatsache, dass ich jetzt noch Module umgebucht habe und heute (Samstag) sechs Vorlesungen nachgearbeitet habe. Aber es war ein Medikinet-Tag und ich habe ihn in der Unibib verbracht, vielleicht auch ein bisschen als Ablenkung, weil ich mich nicht zu doll mit allem beschäftigen wollte. Da war es gerade ganz okay, sich im deutschen Realismus und Naturalismus zu vergraben. Danach habe ich mich meinen liebsten Hausaufgaben jede Woche gewidmet: das Taylor Swift Album, das wir in der nächsten Woche im Taylor Swift Seminar thematisieren, zu hören und eine Lyrikanalyse zu machen.

 

Ach, ach, das Taylor Swift Seminar. Es schlägt Wellen und sorgt für viel Gesprächsstoff. Und ich merke, wie persönlich ich es nehme, wenn Leute meinen, ihre Texte wären es nicht wert, an einer Uni besprochen zu werden. Nicht, weil es ihre Musik abwertet, sondern weil es irgendwie mein ganzes Studium abwertet. Ich glaube, Leute überlegen sich normalerweise nicht so richtig, was man in einem Literaturwissenschaftsstudium macht. Dass es eigentlich normal ist, sich mit Texten, neuen sowie alten, auseinanderzusetzen. Solchen die weniger bekannt sind und solche, die eben bekannter sind. Taylor Swift zum Beispiel. Es fällt mir dann manchmal schwer, richtig für mich einzustehen. Für mein Fach, mein Wissen und meine Expertise. Denn häufig glauben Leute Fakten, welche die Sprache betreffen, nicht. Es ist schwierig, jemandem, der nicht glaubt, dass Sprache wirklich Realitäten schafft und ein wichtiges Abbild unserer Welt ist, zu erklären, warum es wichtig ist, Texte zu analysieren und zu hinterfragen und zu thematisieren. Denn Sprache ist ein mächtiges Instrument, wo es uns doch immer umgibt. Warum es vielen Leuten so schwerfällt, anzunehmen, dass man eben auch Songtexte wie Gedichte behandeln kann, weiss ich nicht so ganz. Am Ende ist das Seminar nämlich einfach ein ganz normales Literaturseminar. Nur sind ganz viele Leute im Vorlesungssaal sehr begeistert. Ich glaube, ich habe im Unikontext noch kein solches Seminar erlebt, in dem die Studierenden so viel Freude am Thema haben. Und warum sollte das also schon etwas Schlechtes sein?

 

Wir waren gestern mit einer Dozentin in Zürich im NZZ Büro, wo sie arbeitet. Im Seminar geht es um Literaturkritik und sie hat uns den Ablauf der Redaktion beschrieben und gezeigt, so gut es ging. Es war sehr spannend. Und ich habe realisiert, was ich schon eine Weile geahnt habe. Dass es mich eben doch auch ein bisschen in den Kulturjournalismus treibt. Und ich aber noch nicht ganz sicher bin, ob ich das kann und will. Muss mir mal noch ein bisschen mehr Gedanken machen. Vielleicht noch ein weiteres Prakikum, lol. Aber in diesem Moment hat mich das beruhigt. Dass ich zwar immer noch in meiner Nische bleibe, ich aber doch mehrere Ideen habe, was ich alles machen könnte. Ich glaube, das kommt schon alles irgendwie. Mal schaun. Danach haben wir uns das Blutstück im Schauspielhaus angesehen. Ich fand’s nicht gut. Also gar nicht. Nach einer halben Stunde habe ich angefangen, auf die Uhr zu schauen, weil ich keine Lust mehr hatte. Es waren lange eineinhalb Stunden. Ich habe mir wirklich mehr erhofft und war etwas enttäuscht. Mir hat ja das Buch auch nicht sonderlich gefallen, ich ging aber davon aus, dass der Stoff sich vielleicht besser für die Bühne eignet. Das Stück greift oft auf Improvisation zurück, die ich meistens nicht sonderlich gelungen fand. Das nimmt die Dringlichkeit von gewissen tiefgründigeren Szenen weg, die gescriptet und wunderbar geschrieben sind. Fand ich schade. Dafür war es irgendwie cool, mit den Leuten aus dem Seminar etwas ausserhalb der Uni zu machen. So lernt man sie halt etwas besser kennen. 

 

Ich freue mich, hast du Freude gefunden am Poetry Slamen. Auch wenn wir manchmal gemeine Dinge über die Kunstform sagen. Oder sie eben nicht so ganz ernst genommen haben als Kunstform. Ich versuche, mich dem zu öffnen. Ich würde dich gerne einmal lesen hören, wenn du das erlaubst   Ich freue mich auch, ist die Therapie soweit gut und bist du zuversichtlich. Das Sport-Hobby und der Job folgen bestimmt noch. Daran glaube ich fest. Ich hänge hier noch meine Empfehlungen an, damit du dich von meinem Geschmack berieseln lassen kannst.

 

Etwas zum Glotzen: Die Tony Awards Performance des Musicals Next to Normal (das höre ich momentan oft, ist aber nicht meine Musik-Empfehlung) aus dem Jahr 2009. Ich liebe die!

 

Etwas zum Hören: Electric Touch von Taylor Swift und Fall Out Boy. Ein Lied, das sehr gut die Nervosität und Aufgekratztheit (hab das Wort schon lange nicht mehr benutzt) eines ersten Dates beschreibt.

 

Etwas zum Essen: Nicht zum Essen, aber El Tony Minze. Ein Klassiker, den ich jetzt wieder mehr konsumiere, seit ich wieder in die Uni fahre. Ich lasse mich leicht von den Dosen auf den Tischen der anderen Leute beeinflussen.

 

Etwas zum Lesen:  Nachtblaue Blumen von Alexander Kamber, das diese Woche im Limmat Verlag (<3) erschienen ist. Es ist kurz und gut und fährt ein. Es geht um Tänzerinnen, die um die Jahrhundertwende in der Salpetrière in Paris für Aufführen von Psychologen benutzt (eher ausgenutzt) und krank gemacht wurden. Hysterie und so, you know. Ich leihe es dir gerne aus.

 

So, das war viel. Und Schwere und Leichtigkeit gemischt. Ich hoffe, das passt.

 

Pass auf dich auf!

Michelle

 

 
 
 

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