Liebe Vera
- Michelle Harnisch
- 12. Mai 2024
- 4 Min. Lesezeit
So, jetzt sind wir wieder im Zeitplan. Hoffentlich können wir das etwas beibehalten von nun an. Sage ich, als ob es so einfach wäre, wohlwissend, dass ich im Juni drei Wochen in Norwegen in der Pampa mit dem Fahrrad unterwegs bin und noch nicht weiss, ob ich überhaupt Internet habe. Lol. Aber wir finden schon noch eine Lösung. Vielleicht gibt es dann zur Abwechslung halt mal random Texte, die wir schon immer mal teilen wollten? Du bist ja schliesslich auch irgendwann noch in den Ferien.
Bevor ich in meinen Brief wirklich einsteige, will ich ausserdem noch sagen: hör wirklich auf, dich mit mir zu vergleichen. Mit irgendwem, wenn wir schon dabei sind, aber das ist, glaube ich, höchst unrealistisch. Für mich jedenfalls. Ich versuche vor allem bei euch engen Freund*innen, mich so wenig wie möglich zu vergleichen. Auch wenn das schwer ist. Ich kenne euch zu gut und bin zu sehr in euch verliebt, ich weiss, dass ich immer denke, ihr seid viel toller als ich. Ausserdem trügt der Schein bei mir enorm. Ich stricke und lese zwar viel, bin dafür mit meinen Unisachen hinterher. Gerade gestern habe ich wieder einmal etwas abgegeben, was ich schon einen Tag vorher hätte abgeben müssen. Und heute habe ich zwei Abgaben fertiggemacht, von denen ich schon lange wusste, die ich aber trotzdem wieder erst auf den letzten Drücker gemacht hatte. Ausserdem stapeln sich die noch nicht bezahlten Rechnungen auf meinem Pult und mein Zimmer ist ein einziges Mess. Ich mache zwar immer sehr viel, dafür bin ich unglaublich scheisse im Priorisieren. Aber diese Schwächen muss man sich nicht immer eingestehen, finde ich. Manchmal muss man sich auf die Dinge fokussieren, die funktionieren. Das ist dann eben das Lesen und das Stricken und das mit dem Bruder telefonieren. Wird halt leider im Berufsalltag und in der akademischen Karriere nicht so hoch gewertet.
Weil diese Woche trotz all meinem Stress ziemlich schön war, versuche ich es dir nachzumachen und Momente aufzuzählen, die sich mir diese Woche eingebrannt haben. Dann schaffe auch ich vielleicht einmal einen kürzeren Brief als sonst.
Zwei Brunchs in einer Woche. Einmal zum Geburtstag der Freundin, die auch du schon erwähnt hast in der Wohnung mit viel Vegi-Aufschnitt, der überraschend slappt. Fast alle, die ein Plus Eins haben, haben dieses mitgenommen und unsere Freund*innengruppe scheint sich dadurch immer wieder zu erweitern. Mir ist das selten so aufgefallen, aber es gefällt mir doch ganz gut. Der zweite Brunch im Hinterhof einer anderen Freundin in Bern. Die Sonne, die so fest scheint, dass sich alle ein- oder mehrmals eincremen müssen. Die beiden Katzen, die uns um die Beine streichen, das Reden über vergangene Gymi- und Pfadizeiten. Mir wird bewusst, wie lange wir uns schon kennen, wie eng unsere Leben immer noch verschlungen sind, wenn wir es zulassen. Das gibt mir ein bisschen Sicherheit und wärmt mich von innen.
Ich rede vor einer Vorlesung mit einer Freundin und zögere den Moment des «in den Vorlesungssaal hineingehen» so lange heraus, bis ich nur noch wenige Sekunden übrighabe. Das Gespräch wird also jäh unterbrochen, weil ich noch vor dem Dozenten in den Raum stressen muss. Auch das lässt mich an die Gymi-Zeit denken, als ich in den Pausen immer dich und die anderen im Schulhaus gesucht habe, weil ich lieber mit euch als mit meiner Klasse gechillt habe. Damals bin ich oft in den letzten Pausensekunden durch eine Tür ins Klassenzimmer geschlüpft.
Ausgang im Dorf. Wieder einmal. Auffahrtsdonnerstag, es ist eigentlich ein Sonntag, es hat kaum Leute in der Bar, in der wir sind. Nach drei Bier, drei Wodka Lemon und einigen Shots werden wir gebeten, zu gehen, weil die Bar schliesst. Es ist noch nicht einmal eins. Ich denke mir, dass das todespeinlich ist, aus dieser Bar geschmissen zu werden an einem Quasi-Sonntagabend, geniesse den Moment aber irgendwie trotzdem. Ich bin sehr betrunken. Für den Heimweg mit dem Velo brauche ich nicht einmal zwei ganze Taylor Swift Lieder, ich beeindrucke mich selbst.
Die Solothurner Literaturtage nach dem Ausgang. Ich bin etwas verkatert, also mit Kopfschmerzen dort, führe ein Interview mit einer Autorin, die ich mag. Es ist meine erste richtige Erfahrung im Kulturjournalismus, ich fühle mich etwas zu cool mit meinem Presseticket, das wir über unsere Dozentin bekommen haben. Ich treffe mich mit meinen Verlagsfreundinnen (kein Grund zu gendern, lol), sitze an der Aare in der Sonne und bin froh, bin ich doch noch nicht ganz draussen aus dieser Szene. Es fühlt sich richtig an, ab und zu immer noch in diesem Umfeld zu sein. Ich vermisse den Verlag.
Ich sitze heute, am Sonntag, in der Unibibliothek und mache meine Abgaben fertig. Immer wieder unterbreche ich meine Arbeit, um ins Natispiel der Handballmannschaft der Männer reinzuschauen. Es geht um die WM-Quali. Während der zweiten Halbzeit und dem darauffolgenden Penaltyschiessen mache ich nur noch das und vergesse die Uni ein bisschen. Die Schweiz verliert und darf nicht an die WM im nächsten Januar. Schade. Meine Texte habe ich dann schnell fertiggeschrieben und abgegeben.
So, dann fehlen nur noch die Kategorien.
Etwas zum Glotzen: Der Auftritt von Dominik Muheim in Olten, weil er den Salzburger Stier 2024 gewonnen hat. Sehr toll. Sehr verdient dieser Stier.
Etwas zum Lesen: «Liebespaar am Fenster» von Kurt Tucholsky. Ich habe mit S. die Gedichte, die er für seine mündliche Abschlussprüfung im Deutsch analysieren muss, angeschaut. Das war eines der Gedichte. Und obwohl ich es sehr schön finde, hat es mich doch auch etwas traurig gestimmt («Gewohnheit wird, was Liebe war.»). Ich glaube, die schönen traurigen Gedichte, sind vielleicht die besten.
Etwas zum Essen: Meine beste Freundin und ich haben am Samstagabend Bier getrunken auf ihrer Dachterrasse und dann aufgrund von mangelnden Snacks in ihrer Wohnung etwas improvisierte Tassenkuchen in der Mikrowelle gemacht. Banger.
Etwas zum Hören: «Too Sweet» von Hozier. Das läuft mir schon die ganze Woche nach.
Jetzt freue ich mich auf die kommende Woche. Obwohl ich zu viel loshabe, dafür dass ich noch einiges für die Uni machen muss. Wird stressig, aber sicher auch lustig. Ich habe am Mittwoch meinen letzten Pio-Hock und hoffe, dass ich nicht weinen muss.
Alles Liebe
Michelle



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