Liebe Vera
- Michelle Harnisch
- 19. Feb. 2024
- 7 Min. Lesezeit
Zuerst möchte ich sagen: danke für die Extrapost aus Indien. Du meintest, die Texte seien vielleicht etwas lang, aber ich finde das völlig in Ordnung. Als jemand, die selten das Verlangen hat, so richtig von zuhause wegzukommen, finde ich es immer spannend, solche Einblicke zu bekommen. Ich weiss aber auch, dass es nicht nur immer einfach ist. Wir haben ja letzte Woche über eine Stunde telefoniert. Wenn ich das lese, bilde ich mir aber ein, die Welt ein bisschen besser zu verstehen, obwohl ich nicht sicher bin, ob das wirklich möglich ist. Jedenfalls freue ich mich zwar schon jetzt sehr auf deine Rückkehr, bis dahin freue ich mich aber auch auf deine Eindrücke.
Als Referenzrahmen für meinen Brief heute: ich schreibe ihn noch etwas müde nach dem Morgestraich, um viertel vor vier am Nachmittag auf meinem neuen Laptop. Ja, ich habe einen neuen Laptop, denn mein alter ist nun leider definitiv abgekratzt. Ich war etwas zu traurig diese Woche deswegen. Nicht nur weil ein neuer Laptop teuer ist und ich das Geld gerade eigentlich nicht habe, um mir solche Dinge zu kaufen, sondern auch, weil ich etwas sentimental wurde. Der alte war der erste Laptop, der richtig mir gehört hat, den ich selbst gekauft habe mit zusammengespartem Weihnachts- und Geburtstagsgeld. Vorher hatten wir einfach einen Familienlaptop, um den man sich streiten musste und dann hatte ich mal noch den alten von meinem Vater, der aber sehr langsam und sehr schwer war. Dass mein eigener jetzt nach sieben Jahren den Geist aufgibt, war also schon ein bisschen schade. Immerhin hat er mich fünf Jahre lang nach Zürich und zurück begleitet und ich will gar nicht wissen, wie viel Zeit ich auf Youtube und in meinen Office-Programmen verbracht habe. Ausserdem habe ich meine Maturarbeit (und damit meinen ersten Roman) und meine Bachelorarbeit darauf geschrieben. Hängt also doch etwas Nostalgie an diesen Technikgeräten.
Bei mir passiert gerade viel, sowohl in mir drin als auch um mich herum. Diese Woche ist die letzte Woche meines Volontariats, am nächsten Montag dann beginnt die Uni wieder. Und ich habe keinen Job. Ich habe die Stelle, für die ich ein Vorstellungsgespräch hatte, leider nicht bekommen. Ganz so schlimm ist das eigentlich gar nicht, es ist nicht so, als wäre es meine Traumstelle gewesen. Aber es hätte doch sehr viel bedeutet, wenn ich die Stelle bekommen hätte. Es wäre eine erste Festanstellung mit fairem Lohn gewesen. Eine Chance, aus diesem Studentinnenjobkreislauf hinauszukommen. Etwas zu machen, was mir Spass, und dass sich gut im Lebenslauf gemacht hätte. Obwohl ich mich nämlich sehr fest freue, wieder an die Uni zu gehen, wieder Seminare und Vorlesungen zu besuchen, habe ich jetzt schon genug von diesen dämlichen Sidehustles. Ich habe mir aber noch einmal ein wenig Zeit verschafft, etwas zu finden (auch wenn ich gerade nicht sonderlich optimistisch bin), und kann im März und April zurück in das Café, in dem ich schon einmal gearbeitet habe. Immerhin.
Das war jetzt also das generelle Update. Ich muss zugeben, dass sich die Müdigkeit heute in meinen Texten niederschlägt. Ich habe vorher bereits eine Stunde an meinem Roman geschrieben und auch dort ist nichts herausgekommen, was mir irgendwie von Nutzen gewesen wäre. Vielleicht wird dieser Brief auch ein wenig so. Erwarte daher nicht zu viel.
Ich habe diese Woche aber lange darüber nachgedacht, was dieser Blog bedeutet. Das auch wegen einigen (sehr netten) Rückmeldungen, die ich bekommen habe. Wir haben uns ausserdem am Telefon darüber unterhalten, was dieser Blog mit uns machst. Dass wir beide die Aufmerksamkeit mögen und ein Mittelungsbedürfnis haben ist ja offensichtlich. Dass wir aber beide denken, dass viele Leute jetzt denken, uns durch diese Texte besser zu kennen, uns besser zu verstehen, als sie es wirklich tun. Denn wir können immer noch sehr gut steuern, was wir teilen und was nicht. Ich bringe das in Verbindung mit etwas, was du letztens geschrieben hast. Du meintest, du würdest lieber Dinge erzählen, die geschehen sind, statt sich im Kreis zu drehen und zu lange über etwas nachzudenken, wie wir es manchmal tun. Ich glaube aber, ich mag das Erzählen von Situationen weniger als das Ausformulieren von Gedanken zu bestimmten Themen. Wenn ich meine Gedanken teile, dann kann ich das irgendwie besser steuern. Wenn ich aber einfach aus meinem Leben erzähle, dann glaube ich, sagt das häufig viel mehr aus über mich selbst. Denn wie ich mich zu gegebener Zeit verhalten habe, kann von allen Menschen anders gelesen werden. Vielleicht finden einige gewisse Sachen lustig, andere gemein, andere finden mich dann einfach langweilig. Wir haben zu Beginn meines Studiums sowohl im Deutsch als auch im Englisch lange darüber geredet, welche Verantwortungen Autor*innen haben. Was von wem interpretiert werden darf, kann und muss. Tod des Autors und whatever, das weiss ich natürlich. Roland Barthes sagt da eigentlich, dass es egal ist, was ein*e Schreibende*r beabsichtigt. Nur die Interpretation von aussen zählt. Dieser Kontrollverlust ist für mich spürbarer, wenn ich Situationen schildere. Und der Gedanke, dass Leute meine Texte anders lesen könnten, als ich es beabsichtige, jagt mir doch ein bisschen Angst ein. Hast du das manchmal auch?
Trotzdem möchte ich dir von meinem Wochenende erzählen, es war nämlich ein sehr schönes, wenn auch etwas stressig. Am Freitag haben wir uns mit einigen vom Handball zum Eishockey spielen getroffen. Wir haben das Eis gemietet und dazu Ausrüstungen und Schlittschuhe. Es war wirklich etwas vom Lustigsten, dass ich seit Langem gemacht habe. Eishockey ist etwas, was ich alle drei Jahre oder so einmal aus Zufall spiele und immer macht es mir so einen Riesenspass, dass ich mich frage, warum ich es nicht öfter mache. Über das Eis zu schlittern in einer Ausrüstung, die jeden Sturz so sehr abfedert, dass man überhaupt nichts spürt, hat etwas sehr Befreiendes. Und mit Leuten, die alle kein Eishockey spielen, aber trotzdem sehr viel in ein Spiel geben, ist sehr bereichernd. Danach sind wir zu fünft noch etwas Trinken gegangen und es war schön, diese Leute aus dem Handball auch einmal ganz ausserhalb vom Training oder von Spielen zu erleben.
Am Samstag dann habe ich besagten neuen Laptop gekauft, was zwar geschmerzt hat (finanziell), aber dennoch abfiel im Kontrast zur Freude und auch Aufregung, einen neuen Laptop einzurichten. Abends dann fuhren mein Bruder, meine Mutter und ich in das Dorf in Bern, wo (fast) alle meine Verwandten wohnen. Der Götti meines Bruders hatte Geburtstag und er hat in eine Kneipe im Dorf eingeladen. Ich wusste nicht recht, auf was ich mich einstellen sollte, aber es war ein sehr schöner Abend. Er hatte seine Stammbeiz reserviert und ganz viele Leute eingeladen. Weil er lange in der ersten Mannschaft ihres Vereins Eishockey gespielt hat, waren nicht nur meine Cousins in meinem Alter dort, sondern auch viele der jüngeren Eishockeyspieler aus dem Verein. Meine Grossmutter, die Grosseltern meiner Cousins, mein Gotti und auch ganz viele andere Freunde von ihnen waren dort. Es war ungewohnt, in einer solch altersgemischten Gruppe zu sein, aber mir hat das sehr gefallen. Ich kenne wenige der Eltern meiner Freund*innen so richtig, und mir gefiel der Gedanke, dass sich alle so gut kennen, dass man auch einen Abend lang mit der Mutter eines guten Freundes Bier trinken kann. Sind halt grosse Dorf-Vibes, aber ich mochte es. Ich kann das nicht ganz so richtig erklären, glaube ich, aber ich fühlte mich wirklich gut aufgehoben. Das ist nicht einfach in solch gemischten Gruppen.
Dann bin ich nach dem Essen nach Bern gefahren zu unserer Freundin, die zur Pyjamaparty eingeladen hat. Mit Diddl-Briefpapier-Einladung per Post und allem. Grösster vorstellbarer Kontrast also. Dort haben wir Mamma Mia 2 geschaut, haben Gesichtsmasken, welche die Gastgeberin aus Singapur mitgenommen hat, aufgelegt, und ich habe viel geraucht. Ups. Obwohl niemand so richtig gut geschlafen hat auf dem Mätteli mit Schlafsack und lautem Atem der anderen rundherum, war es sehr gemütlich. Wir haben viel geredet, viel gelacht und auch viel herumgeschrien. Klassisch halt.
Am nächsten Tag dann ging es nach Hause und dann gleich an die Fasnacht. Ich möchte aber nicht zu viele Worte darüber verlieren, denn es war ähnlich wie jedes Jahr. Viele Leute, viel Alkohol, viel Nikotin, viele Konfetti und viel Abfall. Aber dieses Jahr war es auch: ein Gratis-Crepe, BeReal, Fröschli, Wiedersehen mit unserem alten Pioleiter, den wir mit 17 vergöttert hatten, Kinder in herzigen Kostümen, der Müdigkeit nachgeben und früher nach Hause gehen. Ich bin um 11 ins Bett und dann um 3.10 Uhr wieder aufgestanden. Im Moment des Aufstehens hatte ich mir nicht vorstellen können, dass es sich für irgendetwas lohnen würde. Aber ich verstehe dich jetzt. Mir hat der Morgenstraich dann sehr gefallen. Es hat tatsächlich etwas Magisches, wenn in einer solchen Stadt, in einer solchen Menschenmasse plötzlich alle ganz still werden. Niemand sagt mehr ein Wort, das Licht geht aus und dann läutet die Kirchenglocke, jemand schreit und alle versuchen gleichzeitig zu spielen beginnen (auch wenn es ihnen nicht gelingt lol). Es war eindrücklich und andächtig und tatsächlich ein Gänsehautmoment. Sogar für mich als Fasnachts-Skeptikerin. Wir sind dann nicht sonderlich lange geblieben, S. hatte heute wieder Schule, und um 5.15 Uhr waren wir wieder im Bett. Aber es hat sich schon gelohnt. Ich freue mich, nächstes Jahr vielleicht mit dir zu gehen.
So, dieser Brief war viel Aufzählen und nicht so viel Inhalt. Wie gesagt, ich bin müde. Und uninspiriert. Und gerade finde ich es etwas schwierig, meine Gedanken auszuformulieren. Aber die kommende Woche wird anstrengend. Am Mittwoch sind zum letzten Mal alle im Büro und im Kalender ist «Abschied Michelle» eingetragen. Ich glaube, ein bisschen traurig wird es schon. Vielleicht ist es auch dieser Gedanke, der mich etwas niedergeschlagen stimmt. Zum Abschluss aber noch die Kategorien, die du eingeführt hast und seither geflissentlich ignorierts ;)
Etwas zum Glotzen: Ich bin wieder einmal im Rick und Morty Loch verschwunden und habe wieder bei Staffel eins angefangen.
Etwas zum Lesen: Ich schreibe gerade sehr viel und vernachlässige das Lesen deshalb. Ich habe aber endlich das Gefühl, langsam auf einen Punkt zu kommen, lese daher aber immer und immer wieder bereits geschriebene Kapitel durch, um keine Fehler in der Abfolge zu machen.
Etwas zum Hören: «End of Beginning» von DJO (das ist Joe Keery, der bei Stranger Things mitspielt) – das Lied ist diese Woche in meinem TikTok Algorithums aufgetaucht und dominiert gerade meine For-You-Page. Ich bin sehr beeinflussbar, was solche Dinge anbelangt.
Etwas zum Essen: selbstgemacht Mehlsuppe – Ich bin noch nicht sicher, ob sich Aufwand und Ertrag wirklich rechnen, aber sie war sehr gut.
Enjoy India! Miss you! See you soon!
xxx Misch



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